María Magdalena Campos-Pons
* 1959 in La Vega (Matanzas), Kuba
lebt und arbeitet in Nashville (TN), USA
In ihrer künstlerischen Praxis beschäftigt sich María Magdalena Campos-Pons mit historischen Fragestellungen und verknüpft sie mit Themen der Gegenwart, zu denen zum Beispiel Race, Gender und Feminismus gehören, sowie den damit einhergehenden Faktoren, die die Identitätsbildung beeinflussen. Durch Rückgriffe auf geschichtliche Erzählungen und mythologische Stoffe will sie die zeitgenössischen Betrachter*innen in Themen eintauchen lassen. Zur Entstehungszeit der Arbeit Alternativen für den Mythos: Leda denkt gehört Campos-Pons zu den berühmtesten Vertreter*innen der Neuen Kubanischen Kunst.
Mit ihrem Relief bezieht sich die Künstlerin auf eines der beliebtesten Motive der Bildkunst, das aus der griechischen Mythologie stammt: Leda mit dem Schwan. In den Metamorphosen des Ovid heißt es, dass Leda, die Frau des spartanischen Königs Tyndareos, eines Tages ein Bad im Fluss Eurotas nahm. Dabei soll sie von Zeus, dem Göttervater, beobachtet worden sein. Dieser begehrte sie sogleich. Um Leda habhaft zu werden, ersann Zeus eine List, indem er sich in einen wunderschönen Schwan verwandelte. In ihrem Schoß gelandet, vergewaltigt und schwängert er Leda. Betrachtet man die Darstellungen dieses Mythos seit der Antike bzw. Renaissance mit den berühmtesten Beispielen von Michelangelo (um 1530) und Leonardo da Vinci (1503–1505), die heute beide als verschollen gelten, aber dennoch entscheidender Ausgangspunkt für die folgenden Darstellungen anderer zumeist männlicher Künstler wurden, wird deutlich, dass die Vergewaltigung in der Regel als Verführungsszene aufgefasst wurde, die eine innige Verschlungenheit von Leda mit dem Schwan zeigt. Dadurch wird die Rezeption jahrhundertelang maßgeblich beeinflusst: Meist wird die Vergewaltigung der Leda nicht nur als ästhetisierte Version des Mythos beschönigt, sondern darüber hinaus als einvernehmliche romantische Annäherung und erotisierendes Motiv verstanden.
María Magdalena Campos-Pons aber setzt schon mit dem Titel Alternativen für den Mythos: Leda denkt ein deutliches Zeichen: Vom passiven Objekt der Begierde wird Leda zum aktiv denkenden Subjekt. Dabei bleibt unklar, ob diese Überlegungen, die durch eine angedeutete comichafte Gedankenblase dargestellt werden, vor oder nach dem Ereignis stattfinden. Festzuhalten bleibt jedoch, dass Leda hier als sitzende Rückenfigur die Situation reflektiert und Alternativen ihres Schicksals ersinnt. Dabei werden drei Vorschläge konkreter gefasst, die anhand von drei nahezu identisch gestalteten weiblichen Torsi durchgespielt werden.
Links wird ein übergroßer Finger mit rotem Nagellack auf einen Torso gerichtet, der einen Hinweis auf Masturbation oder weibliche Homosexualität gibt. Dieser Darstellung rechts gegenübergestellt ist ein Penis dem Torso beigefügt, der als sexuelle Handlung zwischen einem Mann und einer Frau – sei sie einvernehmlich oder nicht – verstanden werden kann. Den oberen Rand der Gedankenblase schließt ein Schwanenhals, dessen Kopf auf die Brust des Torsos gerichtet ist, ab, womit Campos-Pons auf den beschriebenen Mythos verweist. Die Künstlerin setzt sich in dem Relief dezidiert mit weiblicher Sexualität, sexualisierter Gewalt und damit zusammenhängenden Fragestellungen auseinander. Zudem geht es ihr darum, die jahrhundertelange sexuelle Unterdrückung von Frauen sichtbar zu machen und einen ersten Schritt im Prozess der Selbstermächtigung darzustellen. Der Mythos um Leda mag nur eine Geschichte sein. Aber es ist notwendig, sich vor Augen zu führen, wer diese Geschichte erzählt und wer sie in welchem Kontext und mit welcher Absicht darstellt.
in Dialog mit
Vivian Greven
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