Theresa Weber
* 1996 in Düsseldorf, Deutschland
lebt und arbeitet ebd.
Mit Ishtar-Tor geht Weber unter anderem der Frage nach heutigen Aufbewahrungsstätten von Kulturgut aus aller Welt nach. Dabei dient ihr als Anknüpfungspunkt das gleichnamige Ishtar-Tor im Berliner Pergamonmuseum, auf das die blauen Kacheln in Webers Arbeit anspielen. Das Berliner Ishtar-Tor in seiner heutigen Erscheinung ist das Ergebnis einer Rekonstruktion mit Fundstücken einer Ausgrabung um 1900 durch die Deutsche Orient-Gesellschaft. Diese verbrachte die geborgenen Ziegelfragmente in die Hauptstadt des ehemaligen Deutschen Kaiserreichs, wo das Berliner Ishtar-Tor im Jahr 1930 zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Vor dem Hintergrund der Debatte über die Rückgabe von durch Raub oder Betrug unrechtmäßig erworbenen Kulturgütern werden in den vergangenen Jahren immer häufiger Forderungen laut, diese – heute in europäischen Museen bewahrten – Objekte an ihre Herkunftsstaaten zurückzugeben. So hat auch die irakische Regierung bereits mehrfach die Rückgabe des Berliner Ishtar-Tors gefordert. Weber interessiert die immer noch ungleich austarierte Machtverteilung in einer postkolonialen Welt, die Deutschland diese Forderungen zurückweisen lässt. Gleichzeitig verweisen die von Weber in das Polyesterharz eingegossenen und leicht transparent erscheinenden Löwen auf die Ikonografie Ishtars, den Schmuck des Berliner Ishtar-Tors sowie auf die Rastafarian Resilience in Babylon. Weber entwirft hier ein System mehrfach konnotierbarer Symbole, welches sich formal in der Vielköpfigkeit der Löwen feststellen lässt.
Der dritte Altar setzt sich mit Transformationsprozessen von Körpern und deren Bildern auseinander. Mithilfe von Körperabformungen und -polstern sowie der Strip- und Popkultur entlehnten Objekten untersucht Weber einerseits Schönheitsideale, andererseits setzt sie diese in Bezug zur Gottheit Ishtar. Denn die vier aufeinanderfolgenden, aus transluzierendem Silikon gefertigten Abformungen von Oberkörpern stammen von Männern und Frauen, sind jedoch auf den ersten Blick nicht als eindeutig geschlechtsspezifisch zu lesen. Damit lehnt sich Weber an den aktuellen Genderdiskurs vor dem Hintergrund der Wandelbarkeit Ishtars an, der*die mal als Mann, mal als Frau auftreten kann und – nach heutigem Verständnis – als genderqueer bezeichnet werden könnte. Zusätzlich gießt die Künstlerin Hüft-, Po- und Brustpolster in ihre Arbeit ein, die die Silhouette einer Person, meist einer Frau, nach aktuellen Schönheitsidealen formen. Durch das Offenlegen der Konstruktionen dieser Körperbilder entsteht eine Distanz der Betrachter*innen zum objekthaft wahrgenommenen Körper. Kann das Streben nach einer Idealform des eigenen Körpers einerseits sehr belastend sein, ist es gleichzeitig möglich, dass eine „positive Fetischisierung“, wie Weber sagt, stattfindet: wenn man sich diese Körperbilder aneigne, kritisch hinterfrage und zu Empowerment und Emanzipation nutze. Erste Anzeichen sieht die Künstlerin in aktuellen Tendenzen der Strip- und Popkultur, worauf die mit Pailletten besetzten Pasties hindeuten.
Die von Weber geschaffene Wandtapete orientiert sich ebenso am rhythmisierten Dreiklang von Basquiats Malerei wie an den drei Altären der Künstlerin. So ist die Tapete in drei horizontalen Bahnen angeordnet, deren Motive zu einem wiederkehrenden Muster verschmelzen und sich zum Boden hin verjüngen. Zu sehen ist hier eine antike Steinskulptur der Gottheit Ishtar, die ihre ambivalente Körperlichkeit zeigt. Zwischen den Köpfen der vervielfältigten Ishtar-Figur erscheint immer wieder das verfremdete Gesicht der Künstlerin. Dieses ist jedoch weniger als Selbstporträt zu lesen denn vielmehr als eine durch einen Instagramfilter erschaffene Transformation der äußeren Gestalt in eine maskenartige Form, die mit Verfremdungseffekten wie der Spiegelung von Nase und Mund arbeitet. Der Zwischenraum der Gesichter wird besetzt durch die blauen Kacheln des Ishtar-Tors, eine Anlehnung, die sich auch in der unteren Begrenzung jeder der Bahnen wiederfindet in Form der schreitenden Löwen. So spiegelt die Wandarbeit alle Themen der Altäre, wobei sie die verschiedenen durch die Künstlerin gesetzten Schwerpunkte ähnlich den Karomusterungen von Textilarbeiten miteinander verwebt. Das verdeutlicht, dass die besprochenen Themen nicht einzeln, sondern vielmehr als sich gegenseitig bedingendes System verstanden werden müssen.
Weber schafft mit der Ishtar-Altarstätte und dem Ishtar-Wallpaper Arbeiten, die zeitgenössische Elemente und Diskurse berücksichtigen. Gleichzeitig zeugen sie von einer großen Sensibilität in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sowie individuellen und kollektiven identitätsbildenden Merkmalen. Damit gelingt es Weber, Verbindungen zwischen vergangenen Kulturen und gegenwärtigen Machtbeziehungen herzustellen, die sie reflektiert. Dabei kommt sie immer wieder auf ihre Rolle als Schwarze Künstlerin innerhalb des Betriebssystems Kunst zurück. Ebenso wie Basquiat entwirft Weber ein komplexes Verweissystem aus Collagen, Symbolen und Motiven, die Betrachter*innen mit eindeutigen Referenzen gleichermaßen wie mit offenen Assoziationsräumen in Dialog treten lassen. Das Sichtbarmachen der Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Geschichte und Popkultur eint Basquiats und Webers Arbeiten, die so subtile Verknüpfungen offenbaren.
in Dialog mit
Jean-Michel Basquiat
Ishtar, 1983