Robert Rauschenberg

* 1925 in Port Arthur (TX), USA
2008 in Captiva Island (FL), USA

Ausstellungsansicht: Sweet Lies. Fiktionen der Zugehörigkeit, Ludwig Forum Aachen. Links: Morgaine Schäfer, magnify BWS 1049 (woman thinking while walking) [magnify BWS 1049 (Frau denkt beim Gehen)], 2020, Inkjet Print / Morgaine Schäfer, Diakonisse, Henrietten Stift Hannover-Serie, 2021, Stoff auf Holzgestell, Courtesy of fiebach, minninger. Rechts: Robert Rauschenberg, Visual Autobiography, 1968, Fotolithografie, dreiteilig, je 168,3 x 123,8 cm, Auflage: 2.000 signierte Exemplare, nicht nummeriert, Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung / Foto: Simon Vogel

Mit der dreiteiligen Visual Autobiography hält Robert Rauschenberg die wichtigsten Ereignisse und Stationen seines Lebens mit einer collageartigen Text-Bild-Kombination fest. Dabei führt er innerhalb des Triptychons Schlüsselmotive seines Œuvre sowie markante Punkte seiner Künstlerkarriere sich selbst und den Betrachter*innen vor Augen. Zu sehen sind Bilder, Formen und Beischriften, die für die Ausformung Rauschenbergs persönlicher Identitäten wesentlich waren.

Auf der ersten Bildtafel zeigt der Künstler eine Röntgenaufnahme seines Körpers und kombiniert sie mit einem kreisrunden System aus Sternzeichen, bei dem die Waage, das Sternzeichen Rauschenbergs, an der Spitze steht. Auch setzt er Abbildungen eines Regenschirms und eines Rades auf das Blatt beides wiederkehrende Motive in seinem Werk. Die mittlere Tafel zeigt einen in Blautönen abgebildeten Schnappschuss. Hier sind Rauschenbergs Eltern mit ihm als Kind bei einem Bootsausflug zu sehen. Die Fotografie ist von einem rot gerahmten Gerüst umgeben, das wie eine zeitgenössische Variante des Hortus conclusus wirkt. Dominiert wird die Tafel von einem Textwirbel, der, leicht versetzt zur Bildmitte, das Familienfoto medaillonähnlich umkreist. Innerhalb dieser Spirale, die an einen Fingerabdruck erinnert, dokumentiert Rauschenberg seine Biografie in Textform. Er geht von seinem Geburtsort und -datum aus und endet in der Gegenwart. Damit fasst er schriftlich zusammen, was er in seinem bisherigen Leben er ist 43 Jahre alt bei der Entstehung des Werks geleistet und erlebt hat. Die rechte Bildtafel zeigt eine Fotografie des Künstlers auf Rollschuhen mit einem aufgespannten Fallschirm auf dem Rücken während seiner Performance Pelican. Diese hatte er gemeinsam mit dem Maler Per Olof Ultvedt und der klassischen Tänzerin Carolyn Brown 1963 in Washington, D.C. während des Pop Festivals uraufgeführt. Sie ist die wohl einprägsamste Performance des Künstlers und gilt als erste Arbeit, in der Rauschenberg als Choreograf tätig war. Gepaart wird die Szene aus Pelican mit der New Yorker Skyline und einer Seekarte von Port Arthur. Orte, die damals seine Lebensmittelpunkte bildeten.  

Rauschenberg schuf eine Collage durch ein persönlich konnotiertes Zeichen- und Verweissystem, das ebenso mit Bildern wie auch mit Schrift arbeitet. Es kommt zu einer Kombination einer privaten und öffentlichen Sphäre, in der sich Robert Rauschenberg bewegte. Hinweise darauf sind persönliche Familienfotos oder Röntgenaufnahmen; öffentlich hingegen ist die Selbstverortung als Künstler mit Bezügen zur eigenen Arbeit wie dem Einsatz wiederkehrender Werkmotive. Durch das Spiel mit den verschiedenen Ebenen seiner Persönlichkeit definiert er sich als Person und entzieht sich im selben Augenblick jeder Form von Kategorisierung. Das wird auch im künstlerischen Schaffen Rauschenbergs deutlich: Er war nicht nur als Maler und Bildkünstler tätig, sondern auch als Bühnenbildner, Fotograf, Choreograf und so weiter. Betrachtet man die drei Tafeln gemeinsam, wird deutlich, dass sie die Komplexität eines Individuums einzufangen versuchen.

Rauschenberg legt den Betrachter*innen verschiedene Facetten seiner Identität offen. Dabei war Visual Autobiography der erste Kunstdruck, der mit einer Billboard-Presse, das heißt einer Plakatdruckmaschine für kommerzielle Zwecke, hergestellt wurde. Ganz in diesem Sinne wurde Visual Autobiography im Jahr 1968 in einer Auflage von 2.000 Exemplaren produziert und als Set für lediglich 150 US-Dollar angeboten. Hierdurch wird klar, dass Rauschenberg versuchte, Visual Autobiography einem breiten Publikum zugänglich zu machen, und damit auch jene Zielgruppe ansprach, die sich in der Regel keine Kunst leisten kann, wodurch eine Form von Klassismuskritik deutlich wird.

in Dialog mit

Morgaine Schäfer

magnify BWS 2078 (exiting or entering) Part 2 / magnify BWS 1049 (woman thinking while walking), 2020 // Diakonisse, Henrietten Stift Hannover-Serie, 2021

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Колодец, 1982–1986