Jo Baer

* 1929 in Seattle (WA), USA
lebt und arbeitet seit 1994 in Amsterdam, Niederlande

Jo Baer, Vertical Flanking Diptych (Large, Orange), 1966/1967, je Öl und Acryl auf Leinwand, je 248 x 180 cm, Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, Leihgabe der Peter und Irene Ludwig Stiftung, © Jo Baer, 2021 / Foto: Carl Brunn

Kurz vor Entstehung dieser Arbeit kommt es zu einem großen Streit über den Stellenwert der Malerei. 1965 erklärt Donald Judd sie für „vorbei“, ein Jahr später bezeichnet Robert Morris sie als „veraltet“. Das Medium Malerei verteidigt Baer immer wieder gegen solche Angriffe. Auch wenn sie sich seit 1975 mehr und mehr der figürlichen Malerei zuwendet, gilt sie bis heute als Pionierin des Minimalismus. In Werken wie Vertical Flanking Diptych (Large, Orange) schließt sich Jo Baer einem Farbdiskurs an, der von Aristoteles angestoßen wurde, als er Schwarz und Weiß als das Ende bzw. den Anfang der Farbskala benannte. Jahrhunderte später findet Newton heraus, dass weißes Licht die Mischung aller Spektralfarben bedeutet. Der Künstlerin geht es darum, dass das Licht von ihren Gemälden selbst ausgeht und in den Raum strahlt. Dadurch verbindet sich die Malerei mit dem umgebenden Raum. Hier wird deutlich, dass es Baer nicht zuletzt um Authentizität und die Herstellung von Gleichgewicht und Ausgewogenheit geht. Um diesen Umstand erfahrbar zu machen, ruft Baer die Betrachter*innen ihrer Arbeiten explizit auf, sich um die Werke herumzubewegen. Mit dieser Aufforderung schließt sich Baer an die Formen Entgrenzung zur Entstehungszeit ihrer Arbeit an, die bestrebt sind, die Schranken zwischen den Medien aufzulösen: Baer schafft Malereien, denen Betrachter*innen wie einer Skulptur begegnen sollen. Dem Wesen der Dinge versucht die Künstlerin innerhalb des Konzepts ihrer Diptychen als Form der Wiederholung nachzuspüren, um eine Aussage durch Verdopplung zu stärken.

Dass Jo Baers Arbeiten zum etablierten kunsthistorischen Kanon gehören, ist dabei keineswegs selbstverständlich. Nur wenige Frauen wurden bislang in diese Riege aufgenommen. Folgt Baer mit ihrem genderneutralen Vornamen (siehe: Gender) einem Muster weiblicher Kunstschaffender, das seit dem 19. Jahrhundert verstärkt zu beobachten ist? Ursprünglich wuchs diese Tradition daraus, dass Frauen lange Zeit über der Zugang zu den meisten Kunstakademien verwehrt war. Damit erhielten sie nicht nur eine schlechtere Ausbildung als ihre männlichen Kollegen, sondern waren auch vom sogenannten Studium nach der Natur, dem Aktzeichnen, ausgeschlossen. Mit der fehlenden Übung in diesem Feld blieben ihnen häufig beliebte Gattungen der Malerei wie etwa Historienbilder oder mythologische Szenen, die darüber hinaus gut bezahlt waren, verschlossen. Sie konzentrierten sich demnach auf Porträt- und Stilllebenmalerei oder Kunsthandwerk wie Stickereien und Textilarbeiten. Einhergehend mit diesen Schranken, die bis weit ins 20. Jahrhundert ihre Gültigkeit haben sollten, war die Idee verbunden, was eine gute Frau ausmachte bzw. ausmachen sollte. Diese Maßgaben bezogen sich aber nicht nur auf Künstlerinnen, sondern hatten eine historisch gewachsene gesellschaftliche Dimension. Mit der Verwendung eines geschlechtsneutralen Namens konnten sich Frauen einige Freiheiten erlauben, die ihnen ansonsten verwehrt blieben.

Speziell die 1960er- und 1970er-Jahre zeichnen sich nicht nur durch ein Ungleichgewicht von Männern und Frauen in der Kunst aus, das bis heute besteht, sondern auch durch gesellschaftliche Auf- und Umbrüche, die unter anderem dieses Missverhältnis spiegeln. Denn bis in unsere Zeit gilt, dass die Werke von Künstlerinnen im Vergleich zu denen von Künstlern deutlich niedriger gehandelt werden. So überrascht es nicht, dass unter der Kunstkompass Top 10 der Gegenwartskünstler*innen von 2020 lediglich drei Frauen zu finden sind.

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