Morgaine Schäfer
* 1989 in Wolfsburg, Deutschland
lebt und arbeitet in Düsseldorf, Deutschland
Die Verwendung von Archivmaterial ist wesentlicher Bestandteil von Morgaine Schäfers Arbeitsweise. Das von ihr bearbeitete Fotoarchiv ist jedoch speziell, da es sich um Aufnahmen ihrer Familie handelt, die von ihrem Vater in den 1970er- und 1980er-Jahren angefertigt wurden. Durch die Kategorisierung und fortwährende Bearbeitung arbeitet sie besondere Nuancen heraus, die ihren fotografischen Arbeiten einen gleichzeitig distanzierten und sehr persönlichen Bezug geben. Im Ludwig Forum Aachen präsentiert sie zwei Arbeiten aus der magnify BWS-Serie, die einen leicht voyeuristischen Blick des Fotografen auf sein Subjekt im Stadtraum werfen. Die Protagonistin der Fotografien ist die Mutter der Künstlerin, die aus merklicher Distanz vom Vater eingefangen wurde. Schäfers Prozess überführt die familiären Fotos in eine anthropologische Fallstudie, bei der die Künstlerin das Verhalten der abgebildeten Personen, deren Umgebung und das Verhältnis zum Beobachtenden analysiert und kategorisiert.
Ebenfalls neu sind die von Schäfer erarbeiteten Stoffhauben, von denen fünf im Raum aufgestellt sind. Auch hier dient ihre Familiengeschichte als Material für ihre Arbeiten. Die farbenfrohen Hauben finden ihre Inspiration im Leben ihrer Urgroßtante, die als junge Frau als Diakonisse ins Henriettenstift in Hannover eintrat. Die Form der Werke leitet sich von den dort getragenen Kopfbedeckungen ab. Die Faszination für die Lebensgeschichte der Urgroßtante ging einher mit der Frage, warum sie diesen Weg in der Mitte des 20. Jahrhunderts einschlug. Das Stift ermöglichte jungen Frauen, gesellschaftlichen Druck zu umgehen und dem Schicksal als Person aus einem niederen Milieu zu entfliehen. Hier konnte die Urgroßtante einen Beruf erlernen und sich für die Gesellschaft engagieren. Diese Leistungen, die ohne großen Lohn vollbracht wurden und die die Eigenständigkeit der Urgroßtante ermöglichten, verschafften ihr in den Augen der Künstlerin große Anerkennung. Eine Anerkennung, die sich, so Schäfer, auch in der Tracht aus blauem Kleid, Schürze und Haube niederschlug und diesen jungen Frauen einen sicheren Stand in der Gesellschaft bot. Die Haube machte sie gleichwertig mit verheirateten Frauen und erlaubte ihnen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Die Hauben von Schäfer werden somit eine Hommage an ihre Urgroßtante und ihre Diakonissen-Freundinnen, deren Stärke und Vielfalt sich in den unterschiedlichen Designs und Stoffen niederschlägt. Dabei spielt Schäfer mit der Materialität, in der sie die Klasse der Trägerinnen eruiert: Satin für das Bürgertum, Latex im Zusammenhang mit Prostitution und vieles mehr. Das Herkunftsmilieu der Trägerin der Haube wurde jedoch nichtig in dem Moment, in dem diese aufgesetzt wurde und alle die gleichen Rechte einer vollwertigen Frau (d. h. im Verständnis der Zeit, einer verheirateten Frau) zugesprochen wurde.
in Dialog mit
Robert Rauschenberg
Visual Autobiography, 1968
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