Markues
lebt uns arbeitet in Berlin, Deutschland
Markues, Jubilate Agno, 2021, Tusche auf Gleitschirm und Kugelketten, Courtesy of the artist, © Markues, 2021 / Fotos: Simon Vogel
Der mit Gleitschirmen ausgestattete Raum von Markues ist dem Lyriker Christopher Smart (1722–1771) gewidmet und bezieht sich auf dessen Gedicht Jubilate Agno (1759–1769 geschrieben, 1939 erstmals publiziert). Smart verfasst es während eines Aufenthalts wegen Wahnsinns im St. Luke’s Hospital in London. Das Gedicht teilt sich in zwei Sektionen – Caller und Response. Der erste Abschnitt beginnt mit „For“ und stellt eine Aneinanderreihung von halluzinatorischen Erkenntnissen des lyrischen Ichs dar, wohingegen der zweite Passus „Let“, dem Zeilenanfang vorstehend, religiöse Ideen preist. Smarts Gedicht changiert zwischen religiöser Dramatisierung und homosexuellen Anspielungen. Die von Markues im Raum drapierten Gleitschirme beziehen sich in ihrer Farbigkeit wie auch durch die angebrachten Kugelketten in Form von aufgestickten Buchstaben (FOR und LET) direkt auf das Gedicht. Im Eingangsbereich der Installation hängt der erste Schirm (FOR) schlaff an Seilen herunter und bietet eine erste visuelle Barriere, hinter der sich zwei Aquarelle befinden. Mit dem zweiten Schirm (LET) wird der hintere Teil des Raums gefasst, in dem er von Wand zu Wand locker an der Decke befestigt wurde.
Die Schirme stehen drei Aquarellen Markues’ gegenüber, die aus der Serie The Troubled Waters of Ethnic Heritage stammen. Die langen Titel dieser Arbeiten sind Zitate aus dem Umfeld der deutschen Zwangsumgesiedelten zwischen 1945 und 1950. Diese Titel haben gerade wegen ihrer Theatralik und ihres Pathos eine unangenehme Aktualität und Prägnanz. Nimmt man beispielsweise Sie hielten an und schauten uns nach, niemand wollte diese Fremden, die auch einen anderen Glauben hatten, erhält die aus dem Kontext gelöste Aussage durch die globalen Migrationsbewegungen von geflüchteten Menschen in den letzten Jahren eine neue Bedeutung. Die Fragen, die Markues in dieser Serie umtreibt, sind: Wie spricht man mit künstlerischen Mitteln – aus einer größtenteils privilegierten Lebenswirklichkeit mitten in Europa – Themen mit kritischem Problembewusstsein an? Wie gelingt ein solcher Diskurs, ohne den Fokus auf die eigene Person zu legen? Im Kern geht es Markues darum, zu untersuchen, ob ein Möglichkeitsraum existieren kann, der – ausgehend von der Bildkunst – durch starke Stilisierung, antisubjektive Verfahren und Deskilling geprägt ist. Hierin wird Betrachter*innen das Angebot gemacht, die Auflösung des Subjekts nachzuvollziehen, ohne die eigene Herkunft zu ignorieren. Zudem können an diesem Ort Identitätskategorien für Betrachter*innen erfahrbar werden.
In der Installation von Markues ist eine Arbeit von Thomas Lanigan-Schmidt platziert: Im Raum wurde unter den Gleitschirmen das stelenartige Werk A Rite of Passage: The Leprechaun (a Mischievous Irish Fairy) and the Puerto Rican Prince platziert, das stark mit Ornamentik arbeitet. Momente des Wiedererkennens und der Verschlüsselung wechseln sich ab – ebenso wie bei Markues. Während Lanigan-Schmidt seine Ornamentik stärker im religiösen Kontext ansiedelt und damit ein Spannungsfeld zwischen Katholizismus und Queerness darstellt, widmet sich Markues einer Aneinanderreihung von Ornamenten, die in Farbe und Form die Themen Gender und Herkunft behandeln. Hierfür nutzt Markues beispielsweise Bemalungen von Segelflugzeugen, Dekore von Westerwälder Steinzeug oder Muster von Kleidung. Ornamente, die von bestimmten sozialen Klassen in der Gesellschaft sprechen. Markues’ Gleitschirme arbeiten ebenfalls mit dem Ornament, wodurch sie sich einer lesbaren Autor*innenschaft entziehen und einem nicht geschlechtsspezifischen Gestus folgen.
in Dialog mit
Thomas Lanigan-Schmidt
A Rite of Passage: The Leprechaun (a Mischievous Irish Fairy) and the Puerto Rican Prince, 1974–1985
weiterer Beitrag
Jo Baer
Vertical Flanking Diptych (Large, Orange), 1966/1967