Kolonialismus

Kolonialismus wird allgemein als die Erweiterung eines Nationalstaates betrachtet, mit besonderem Blick auf wirtschaftliche, politische und militärische Interessen. Dabei spielen die Ausbeutung und Unterdrückung der Bevölkerungsgruppen der kolonisierten Territorien eine maßgebliche Rolle. 

Die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus, Rassismus, Deutschem Reich und der Maafa werden in Deutschland bis heute selten thematisiert. Als Beispiele für den Kolonialismus werden in der Regel Großbritannien, Frankreich, die Niederlande oder Portugal angeführt. Es stimmt, dass das Deutsche Reich weniger Kolonien in Besitz nahm und dass es wegen des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg keine Kolonialmacht mehr war. Doch seit 1883 besaß das Deutsche Reich Kolonien, die als sogenannte Schutzgebiete bezeichnet wurden. Sie befanden sich u. a. im heutigen Tansania, Burundi, Ruanda und einem Teil Mosambiks, der Deutsch-Ostafrika genannt wurde. Hinzu kamen Deutsch-Neuguinea, Deutsch-Samoa, das heutige Namibia (damals: Deutsch-Südwestafrika), Deutsch-Westafrika mit dem heutigen Kamerun und Togo sowie Kiautschou in Nordchina. Damit war das Deutsche Reich flächenmäßig das drittgrößte Kolonialreich, etwa 13 Millionen Menschen lebten in seinen Schutzgebieten. Dabei hatten dort nur wenige deutschstämmige Personen Grundbesitz oder waren im Handel mit versklavten Menschen tätig. Vielmehr profitierte man indirekt durch neu erschlossene Produktionszweige und den Handel mit den Kolonien. Damit ist der Wohlstand innerhalb des Deutschen Reiches zumindest teilweise auf die Ausbeutung durch den Kolonialismus zurückzuführen, der für wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. Etwa zur gleichen Zeit entstanden im Deutschen Reich bedeutende ethnologische Sammlungen, für deren Unterbringung Museen erbaut wurden, wie das Königliche Museum für Völkerkunde in Berlin, das Grassimuseum in Leipzig oder das Culturgeschichtliche Museum in Hamburg (heute: Museum am Rothenbaum). 

Während der Wohlstand im Deutschen Reich stieg, missionierte man die Bevölkerungsgruppen innerhalb der deutschen Kolonien. Durch ein rassistisch motiviertes Gefühl der weißen Überlegenheit versuchten Missionar*innen, die Menschen vor Ort zu zivilisieren“, d. h. ihnen die deutsche Kultur“ aufzuzwingen, während ihre eigenen Gebräuche, Normen und Religionen mehr und mehr in Vergessenheit geraten sollten. Durch diese Form der Fremdherrschaft kam es zu einer Unterwerfung in allen Lebensbereichen bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Ausbeutung auf verschiedenen Ebenen, die mit einer Verflechtung von Kolonialismus sowie religiöser und kultureller Unterdrückung einherging. 

Durch diese verschiedenen und wirkungsvollen Mechanismen wurden die indigenen Bevölkerungsgruppen entmenschlicht und zu Objekten gemacht. In der Folge kam es zwischen 1904 und 1908 zum ersten Genozid des 20. Jahrhunderts: In Deutsch-Südwestafrika wurden die Aufstände der einheimischen Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama, die sich der Fremdherrschaft widersetzten, blutig niedergeschlagen mit dem Ziel, die gesamten indigenen Bevölkerungen auszulöschen. Der preußische Generalleutnant und Kommandeur der Schutztruppe Lothar von Trotha (18481920) erließ den Vernichtungsbefehl: Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr […] erschossen.“ Wer nicht erschossen wurde, wurde in die Omaheke-Wüste getrieben, um dort zu verdursten. Etwa zur gleichen Zeit begann von Trotha auf Geheiß des Kaisers, Wilhelm II. (1859–1941), Konzentrationslager in Deutsch-Südwestafrika einzurichten. Dort wurden die gefangengehaltenen Herero und Nama – Erwachsene und Kinder – zu Zwangsarbeit verpflichtet und misshandelt. Zur medizinischen Forschung wurden ihre Leichen nach Deutschland geschickt. Noch heute befinden sich in Deutschland menschliche Überreste in musealen Sammlungen. Schätzungen gehen davon aus, dass über 70.000 Menschen diesem Völkermord zum Opfer fielen. Das entspricht etwa 70 % der Herero und ca. 50 % der Nama. Erst seit Mai 2021 erkennt Deutschland den Genozid offiziell an.