Essentialismus

Der Begriff des Essentialismus stammt aus der Philosophie und ist ebenso Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen. Die Psychologin Susan Gelman definiert Essentialismus als die Vorstellung, dass bestimmten Kategorien eine Realität oder eine wahre Natur zugrunde liegt, die sich nicht direkt beobachten lasse, aber einem Objekt Identität verleihe und auch für andere Ähnlichkeiten zwischen den Angehörigen dieser Kategorien verantwortlich sei“. Ein konkretes Beispiel für den Essentialismus liefert folgende Vorstellung: Sie begegnen bei einem Spaziergang im Wald einem Wildschwein. Durch das, was Sie über Wildschweine wissen, ist Ihnen bewusst, dass es Sie anfallen könnte. Vorsicht ist geboten. Hierbei handelt es sich jedoch um eine generische Verallgemeinerung, denn nicht alle Wildschweine greifen Menschen an. 

Übertragen auf eine gesellschaftliche Dimension greift der Essentialismus ebenso. Menschen neigen dazu, andere Menschen in Gruppen zu kategorisieren, meist aufgrund von äußeren Merkmalen. Diese äußeren Unterschiede, seien sie durch Gender, Race oder Ähnliches bestimmt, werden zu Zuschreibungen, die uns glauben machen wollen, dass bestimmte Menschen durch bestimmte Merkmale zu bestimmten Gruppen gehören. In dieser Assoziationskette ist der nächste Schluss, dass die jeweilige Gruppe durch ein inneres, alle Individuen einendes Wesen verbunden ist. Darüber hinaus neigen Menschen dazu, eine solche generische Behauptung anzunehmen, wenn sie negativ ist. Dadurch kommt es zu Stereotypen und Vorurteilen. Damit wird deutlich, dass der Essentialismus ebenso lebensnotwendig ist, wie das Beispiel des Wildschweins gezeigt hat; mit Blick auf Identitäten irrt er jedoch in der Regel, denn erst durch ihn konnte z. B. die Rassentheorie entstehen. Die Annahme, es gäbe eine Form von wahrer Natur einer ganzen Gruppe von Menschen, die erklären könnte, weswegen sie eine bestimmte soziale Identität haben, ist falsch.