Chuck Close
* 1940 in Monroe (WA), USA
† 2021 in Oceanside (NY), USA
Nichts bleibt dem Auge des Malers Chuck Close verborgen: keine Falte, die er nicht auf Leinwand bannt. Doch wie? Schon seit dem Ende der 1960er-Jahre wird diese Form des Fotorealismus für Close charakteristisch. Minutiös beschreibt der Maler die Gesichter der Porträtierten, meist engen Freund*innen oder Familienmitgliedern, und stellt sie in Überlebensgröße, emotionslos und in der Regel frontal dar. Jedes Mal dient ihm eine Fotografie als Grundlage, die er mithilfe eines Rastersystems in einzelne Parzellen gliedert, um sie anschließend auf die Leinwand zu übertragen. Er selbst sagt dazu: „Wenn einen das Ganze überwältigt, wenn man nicht Weiß, wie man die Nase darstellen soll, muss man es eben lassen. Dann muss man die Nase auf hundert kleine Einzelteilchen reduzieren und der Reihe nach die Darstellung erst des einen Teilchens, dann des anderen lösen, ohne sich dabei groß Gedanken zu machen, und am Ende hat man dann die Nase.“ Von diesem Verfahren rückt Chuck Close in den letzten 50 Jahren selten ab. Durch die Verbindung zwischen Fotografie und Malerei ergibt sich bei ihm darüber hinaus eine präzise Vergrößerung eines Porträts, die mithilfe der Malerei die damals technischen Möglichkeiten der Fotografie überstieg: Seine Gemälde waren demnach nicht nur reine Imitationen der Fotografie, sondern noch genauer als die fotografische Vorlage, was etwa an der grobporigen Haut deutlich wird. Richard ist eines der bekanntesten und frühesten Beispiele dafür. Hier ist die En-face-Darstellung von Closes Künstlerkollegen und Kommilitonen, dem Bildhauer Richard Serra zu sehen.
Richard sieht die Betrachter*innen mit kühlem und geradezu herausforderndem Blick an. Dabei ist die Malerei eine der ersten, die Close ohne Pinsel oder vielfarbig malte, sondern mithilfe einer Sprühpistole und der Beschränkung auf Schwarz-Weiß und seine Schattierungen. Close versucht damit, die Individualität eines Menschen herauszuarbeiten. Dies geschieht jedoch nicht über Attribute oder Symbole, die den Charakter einer Person in Form einer psychoanalytischen Darstellung vermitteln sollen, sondern vielmehr durch die genaue Beobachtung und Dokumentation der äußeren Erscheinung. Close sieht in den Porträts Erfahrungslandschaften, in denen jedes Gesicht die eigene unverwechselbare Geschichte erzählt.
Der malerischen Gattung des Porträts blieb Chuck Close immer verhaftet. Auch dann noch, als er 1988 eine schwere Krankheit erlitt, die ihn rechtsseitig lähmte und fast das Ende seiner Künstlerkarriere bedeutet hätte. Seitdem arbeitet er mithilfe einer Handgelenksmanschette, die die Malutensilien hält, und einer Hebebühne, die den Künstler dabei unterstützt, an jede Stelle der überlebensgroßen Leinwände zu gelangen. Stiller wurde es um Close erst, nachdem er im Jahr 2017 des sexuellen Fehlverhaltens in Form von verbalen sexuell aufgeladenen Pöbeleien gegenüber zwei Modellen während einer Fotositzung in seinem Atelier angeklagt wurde. Dafür erfolgte eine öffentliche Entschuldigung des Malers. Seine Karriere konnte sich seither nicht vollständig erholen, mehrere geplante Ausstellungen wurden abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch was erreicht der Kunstbetrieb mit dieser Form der Selbstzensur?
Wer Bilder ungeschehen macht, weicht der Diskussion über sie und ihre Schöpfer*innen aus. Dadurch wird eine Realität negiert, die in der Vergangenheit zum Erfolg von ungleicher Machtverteilung und verschiedenen Formen von Diskriminierung geführt hat. Man gibt die Möglichkeit auf, diese Machtstrukturen offenzulegen und zu hinterfragen. Aber auch das kann die Aufgabe eines Museums sein: zum Denken und Debattieren anzustiften.
In Dialog mit
Megan Rooney
Old baggy root, 2018–2020
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