Rassismus
Rassismus bezeichnet eine inzwischen wissenschaftlich verworfene ideologische Theorie, nach der sich Menschen – aufgrund von meist äußeren Merkmalen wie Hautfarbe – in Rassen einteilen lassen würden. Diese Rassentheorie geht einher mit dem grundlegenden Gedanken, dass einige Menschen in Abgrenzung zu anderen Personen(gruppen) in irgendeiner Weise „besser“ seien und aus diesem Grund das Recht hätten, über andere zu herrschen. Dadurch lassen und ließen sich im Laufe der Geschichte verschiedene Handlungen legitimieren, um eine bestimmte Weltordnung herzustellen und Hierarchien zu etablieren.
Rassismus ist damit ein historisch gewachsenes und wirkmächtiges System der Unterdrückung mit politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Dimension, das in allen Lebensbereichen zum Tragen kommen kann. Die darin festgeschriebene Hierarchisierung und Kategorisierung von Menschen in Gruppen versuchte man auf verschiedenen Ebenen zu begründen: Zum einen durch vermeintlich naturwissenschaftliche Erkenntnisse, die Menschen – wie Pflanzen oder Tiere – in Spezies gliederte und ihnen so im Sinne des Essentialismus durch die Bestimmung äußerer Merkmale ein inneres Wesen zuschrieb. Zum anderen suchte man in schriftlichen Quellen nach Begründungen und fand diese in der Bibel und in verschiedenen philosophischen Schriften, die man mitunter dekontextualisierte oder fehlinterpretierte und damit instrumentalisierte. In diesem Zusammenhang sei besonders darauf aufmerksam gemacht, dass das Konzept des Rassismus eine Erfindung des 20. Jahrhunderts ist. Die nachfolgend angeführten Auszüge aus Textquellen stammen aus einer Zeit, in der diese Theorie noch nicht im heutigen Verständnis existierte. Nicht jede rassistische Äußerung stammt automatisch von einer*einem Rassist*in. Hier ist es besonders wichtig, den Einzelfall zu untersuchen und den vorherrschenden Zeitgeist zu berücksichtigen. Nichtsdestotrotz gehen rassistische Theorien – im Falle Europas und der USA – von einer weißen Vorherrschaft aus. Dieser folgten im Sinne des Colorism meist People of Color, während Schwarze Menschen am unteren Ende dieser Hierarchie standen. Hierin liegt auch einer der Gründe für Kolonialismus, den Handel mit versklavten Menschen und die Maafa.
– Rechtfertigungsversuche für Rassismus
Im Zuge des ab dem 17. Jahrhundert erstarkenden Handels mit versklavten Menschen berief man sich beispielsweise auf den antiken Gelehrten Aristoteles, der die Sklaverei als natürliche Gegebenheit verstand. Dabei wählte Aristoteles jedoch nicht Rasse als Kriterium für die legitime Versklavung von Menschen, sondern die Unterscheidung in Griechen und Nichtgriechen. Nur letztere durften als Ware gehandelt werden. Um Rassismus zu rechtfertigen, bemühte man ebenso die Bibel: In Genesis, 9, 18–27 geht es um Noah und seine drei Söhne Ham, Jafet und Sem. Noah, der, betrunken vom Wein, nackt in seinem Zelt lag, wurde von Ham entdeckt, der amüsiert von dieser Situation seine Brüder herbeiholte. Jafet und Sem deckten jedoch den Vater zu und verhöhnten ihn nicht – im Gegensatz zu Ham. Als Noah erwachte und davon hörte, verfluchte er Ham und all seine Nachkommen: Sie sollten Jafet und Sem sowie ihren Nachfahren als „Knecht aller Knechte“ (Genesis, 9, 25) dienen. Weil nach biblischer Vorstellung alle Menschen auf einen Stammvater zurückgeführt werden können, ergab sich aus dieser Passage der Grund für legitime Versklavung. Nach der biblischen Sintflut hat sich die Weltbevölkerung dieser Vorstellung zufolge aus den Nachfahr*innen von Noahs Söhnen gebildet. Ab der Renaissance beschäftigte man sich mit der Frage, in welchen Regionen sich die Nachfahr*innen der einzelnen Brüder niedergelassen haben könnten. Man hielt fest, dass Jafets Nachfahr*innen in Europa zu finden seien. Sems Nachkommen lebten in Asien und die von Ham besiedelten den afrikanischen Kontinent. Dementsprechend – so glaubte man – konnten Afrikaner*innen versklavt werden.
Auch Philosoph*innen beschäftigten sich immer wieder mit der Herleitung von Gründen für Rassismus, die das individuelle und kollektive Handeln rechtfertigen sollten. Zu ihnen gehörte auch Immanuel Kant (1724–1804), wichtigster Vertreter der deutschen Aufklärung, der die Weltbevölkerung – ganz im Sinne des vorherrschenden Zeitgeistes, der alles kategorisieren und erklären wollte – in Rassen unterteilte. In Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764) schreibt er: „Die [N-Wort] von Afrika haben von der Natur kein Gefühl, welches über das Läppische stiege.“ Es sei angemerkt, dass diese Publikation in Kants vorkritische Phase fiel. Betrachtet man seine Äußerungen in den Jahren 1781 bis 1790, das heißt der Zeit, in der auch seine Hauptwerke entstanden, setzte sich der Philosoph weiterhin mit Rassentheorie auseinander, wie in seinem 1785 erschienenen Aufsatz Bestimmung des Begriffs der Menschenrasse, in dem er Menschen nach Hautfarben in vier Rassen gliedert und ihnen bestimmte Charaktereigenschaften zuschreibt. Wenige Jahre später, 1788, betont er in Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie abermals die Wichtigkeit der Rassenlehre. Dies verdeutlicht er am Beispiel der indigenen Bevölkerungsgruppen Nordamerikas, die er als „zu aller Kultur unfähig“ beschreibt und sie am unteren Ende einer rassistischen Werteskala verortet. Diese Haltung Kants überrascht umso mehr, als aus seiner Feder auch die Formel „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst“ stammt (Kant, AA IV, 429). Kants kategorischer Imperativ hat damit auch für nicht-weiße Menschen Gültigkeit. Der Philosoph bewegt sich also in einem offenen Widerspruch zu sich selbst, wenn er BIPoC die Vernunftbegabung und damit einhergehend ihre Autonomie – beides essentielle Bestandteile des Menschseins – abspricht. Andererseits wendet sich Kant ab den 1790er-Jahren gegen den Handel mit versklavten Menschen sowie den Kolonialismus, die er in den Jahren zuvor noch als legitim erachtete. Wie diese Äußerungen und Schriften zu bewerten sind und wie sie mit dem übrigen Werk des Philosophen im Sinne des damaligen Zeitgeistes zu verstehen sind, wird derzeit erforscht.
– Umgang mit Rassismus in Deutschland
Ein häufig nicht wahrgenommenes Problem im Umgang mit Rassismus ist, dass meist nur als Rassismus gilt, wenn eine Aussage oder Handlung vorsätzlich von einer Einzelperson auch rassistisch gemeint war. So wird besonders positiver Rassismus, das heißt ein positiv konnotiertes Vorurteil, selten als rassistische Äußerung anerkannt. Ein Beispiel: „Latinx sind temperamentvoll und tanzen gut.“ Rassismus tarnt sich hierbei als Kompliment. Die Anrufung von kategorisierten Menschen (hier aufgrund der Herkunft einer Person) als Kollektivsubjekt ist eine rassistische Äußerung, weil nicht mehr das Individuum und spezifische Talente betrachtet werden, sondern es als Vertreter*in einer Gruppe jede Individualität einbüßt und nicht mehr als Einzelperson wahrgenommen wird.
Ein weiteres – besonders in Deutschland verbreitetes – Problem ist, dass Rassismus selten in einer gesellschaftlichen Dimension diskutiert wird. Denn der Begriff des Rassismus ist immer noch eng an das NS-Regime geknüpft und wurde in der Folge weitestgehend verbannt. Strukturellen Rassismus zu ignorieren, ist jedoch der falsche Ansatz: Rassismus findet nicht nur in Form von Polizeigewalt in den USA statt. Rassismus ist auch ein Problem in Deutschland, durch das BIPoC diskriminiert, benachteiligt, bedroht, beleidigt und angegriffen werden. Das Bundeskriminalamt hat für das Jahr 2019 insgesamt 8.585 Fälle von Hasskriminalität gegen Race und Religion, speziell in Form von Rassismus und Antisemitismus, verzeichnet.
Bis heute beruht der Rassismus auf verschiedenen Rechtfertigungsversuchen, die zumeist der Gedanke eint, die Herrschaft weißer Europäer*innen über nicht-weiße Personen zu begründen. Als Merkmale für eine rassenideologische Werteskala dient einerseits – im Sinne des Colorism – die Benennung von Hautfarben und die Kategorisierung von Menschen nach ihnen. Andererseits wurden diesen Gruppen bestimmte Eigenschaften, wie Moral, Intellekt, Autonomie und Erziehbarkeit, zu- bzw. abgesprochen. Das geschieht zuweilen bis heute, wenn auch in abgewandelter Form. Wer eine antirassistische Gesellschaftsstruktur anstrebt, sollte diese historische strukturelle Dimension von Rassismus anerkennen und bestrebt sein, sie u. a. nicht zu tradieren. Denn je mehr Lebenswirklichkeiten ein Individuum im Blick hat, desto mannigfaltiger wird die Perspektive auf die eigene Umwelt und umso wahrscheinlicher ist es, Schieflagen erkennen und benennen zu können.
Rassismus findet verschiedene Ausprägungen. Dazu gehören z. B. auch der Antiziganismus und Antisemitismus oder Colorism. Rassismus zählt neben u. a. Ableismus, Sexismus, Klassismus und Homophobie zu den häufigsten Formen von Diskriminierung.
Mehr über den eigenen Rassismus erfahren: https://implicit.harvard.edu/implicit/germany/takeatest.html